Zum 1. Januar 2024 startete das von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) in der Bildungsagenda NS-Unrecht geförderte Pilotprojekt „Welche Stimme haben wir?“ zur Einbeziehung und Beteiligung von Nachkomm*innen NS-Verfolgter in die historisch-politische Bildungsarbeit. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen, AMCHA Deutschland e.V. und der Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte e.V. erarbeiten im Rahmen dessen eigene Teilprojekte, um Nachkomm*innen von NS-Verfolgten verstärkt in die Bildungs- und Erinnerungsarbeit einzubeziehen und dabei ihre Erfahrungen mit und Perspektiven auf die bestehende Erinnerungskultur zu thematisieren und zu reflektieren. Die Trägerschaft liegt bei der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen. Allgemeine Informationen zu dem Projekt finden Sie hier.
Rückblick auf 2. Jahreshälfte 2024: Projektteilnehmende feilten in Hamburg gemeinsam am Projektwerk
Das Projekt „Welche Stimme haben wir?“ mit zehn Angehörigen von NS-Verfolgten durchlief im Herbst 2024 die zweite von vier Arbeitsphasen. Ende September und Mitte Oktober traf sich die Projektgruppe im Geschichtsort Stadthaus, um sich über das mögliche Format und die Zielgruppen des Projektwerks auszutauschen. Beim ersten Workshop im Juni hatte die Projektgruppe grob skizziert, welche Eigenschaften ihr Projektwerk aufweisen sollte. Diese Überlegungen waren Ausgangspunkt für die Ausarbeitung von mehreren Werkvorschlägen im Vorfeld des zweiten Workshops. Diese brachten die Teilnehmenden beim Treffen im September ein und besprachen sie in der Gruppe. Anschließend sammelten die Teilnehmenden Ideen für die Zielgruppen, die durch das Projekt angesprochen werden sollen. Der Workshop im Oktober diente dann dazu, die bisherigen Ergebnisse weiter zu konkretisieren und die Gemeinsamkeiten der Ideen herauszuarbeiten. Dadurch sollten möglichst viele eingebrachte Aspekte in einem gemeinsamen Projektwerk vereint werden.
Inhaltlich war es der Projektgruppe wichtig, dass nicht nur die einzelnen Familiengeschichten im Vordergrund stehen, sondern dass auch das Thema Erinnerungs- und Gedenkkultur und deren Leerstellen behandelt werden. Dabei sollen marginalisierte Gruppen stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden. Eine Frage war es, wie Erinnerung in Zukunft gestaltet und weitergeben werden kann, wenn die Zeitzeug*innen, aber auch die direkt nachfolgenden Generationen nicht mehr am Leben sind.
Digital, interaktiv und erweiterbar
Seit dem ersten Workshop waren die Teilnehmenden überzeugt, dass sie mit einem digitalen Werk die größte Reichweite, insbesondere unter jüngeren Lernenden, haben würden. Aber einfach eine Website mit Informationen bereitzustellen erschien ihnen nicht sinnvoll. Immer wieder ging es in den Seminargesprächen auch um Orte, die eine Relevanz im Leben der Vorfahr*innen der Projektteilnehmenden hatten, z.B. ihre Heimatorte, Orte der Verfolgung bzw. Flucht oder der (neue) Lebensmittelpunkt nach der Befreiung. So einigten sich die Teilnehmenden darauf, dass eine digitale interaktive Karte, auf der Markierungen mit Informationen gesetzt werden können, eine ideale Lösung sei, um die Lebenswege der Verfolgten (und zum Teil auch ihrer Nachkomm*innen) sichtbar zu machen, Überschneidungen aufzuzeigen und das Augenmerk darauf zu legen, wie an einzelnen Orten heute der Verbrechen der Nationalsozialist*innen gedacht wird. Gleichzeitig bietet eine so programmierte Karte die Möglichkeit, zukünftig weitere Punkte zu anderen Personen hinzuzufügen. Entschieden wurde auch, dass die Karte nicht zu viele Informationen enthalten dürfe, um übersichtlich zu bleiben. Sie wird daher um eine Onlineausstellung, zu der auch Bildungsmaterialien für Lernende ab 16 Jahren erstellt werden, ergänzt.
Rechercheergebnisse, Lebensläufe und die Perspektive auf die Erinnerungskultur
Viele Mitglieder der Projektgruppe recherchieren schon seit vielen Jahren zu ihren verfolgten Verwandten, andere haben in kurzer Zeit viele für sie neue Informationen zusammengetragen. Alle sind nun gegenwärtig damit beschäftigt, die Rechercheergebnisse entsprechend der inhaltlichen Struktur der Onlineausstellung und der interaktiven Karte aufzubereiten, einen Lebenslauf zu ihren Verwandten zu erstellen und zu formulieren, welche Erwartungen sie selbst an die Erinnerungskultur haben. Die Ergebnisse dieser Arbeitsphase werden im ersten Quartal 2025 die Grundlage für die Werksinhalte sein. Ein Highlight im zweiten Quartal wird der dritte Workshop sein, während dem u.a. an Videos und Interviews für die Onlineausstellung gearbeitet werden wird.