3 intensive Tage Forum „Zukunft der Erinnerung“ sind zu ende
Am 2. Mai, endete das Forum „Zukunft der Erinnerung“ 2016 in der KZ- Gedenkstätte Neuengamme nach drei intensiven Tagen. Eigentlich fühlte es sich an, als ob es gerade erst begonnen hätte! Somit ist es leider schon wieder Zeit, zurückzublicken. Dies möchte ich heute tun. Zurückblicken auf einen ganz persönlichen Höhepunkt des Zusammentreffens: Tag Zwei des Forums „Zukunft der Erinnerung“.
Podiumsgespräch mit Nachkommen von Verfolgten und Nachkommen von Täter_innen
Der zweite Tag des Forums „Zukunft der Erinnerung“ war für mich sehr bewegend. Vier Nachkommen von ehemaligen KZ-Häftlingen und von NS-Täter_innen tauschten sich miteinander über ihre Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte aus. Jede und jeder von ihnen ist auf ihre eigene Weise unglaublich mutig und auch stark. Endlich gaben sie so der Geschichte und ihrer Schatten viele verschiedene Gesichter, ließen mich mit großem Erstaunen, aber auch mit zu vielen Eindrücken und Fragen zurück. Diese möchte ich nun nachträglich, zumindest in Umrissen, zum Ausdruck bringen. Mein kurzer Artikel bietet Ihnen die Möglichkeit, den zweiten Tag des Forums „Zukunft der Erinnerung“aus meiner Jugendfilmprojektteilnehmer_innen-Perspektive nachzuvollziehen.
Ein Gespräch mit meinem „Buddy“ Martine Letterie
Einige Fragen, die mir während der Diskussion im Kopf herumgeisterten, konnte ich im Anschluss an das wohltuende Mittagessen kurz mit Martine Letterie, Präsidentin der Stichting Vriendenkring Neuengamme und Vizepräsidentin der Amicale Internationale KZ Neuengamme, teilen. Sie ist während des dreitägigen Forums „Zukunft der Erinnerung“ mein sogenannter „Buddy“ gewesen. Als der mir zugeteilte „alte Hase“ machte sie mich mit vielen Teilnehmer_innen des Forums „Zukunft der Erinnerung“ bekannt, stand mir Rede und Antwort und war nicht nur am Essenstisch meine erste Anlaufstelle.
Ich stehe nach dem Abschluss des Filmprojekts noch immer ziemlich unbeholfen am Anfang meiner eigenen Familienrecherche. Gut, dass mein Buddy mir auch hier Orientierung verschaffen konnte. Als Enkelin eines niederländischen, im KZ-Neuengamme ermordeten Kommunisten ist sie für mich ein beeindruckendes Vorbild. Auch als Kinderbuchautorin reflektiert sie ihre eigene familiäre Vergangenheit. Ich bin froh, nach dem fesselnden Podiumsgespräch ein paar Worte mit ihr wechseln zu können.
Die Weitergabe der Erinnerung
Während des Podiumsgesprächs sagte Viktoria Evers, Enkelin eines ehemaligen KZ-Häftlings, etwas von der Geschichte solle für die lebende Familie immer bleiben. Ich wollte von Martine wissen, ob sich dieser Teil auch in ihren Büchern findet?
„Ja sicher!!“, sagt Martine. Jedes Mal, wenn sie ihre Geschichte weitergäbe, rühre es sie persönlich. Sie fragt sich, ob ihr Großvater die Schwere seiner Worte begriff, während er Martines Vater bei einer gemeinsamen Fahrradtour kurz vor seiner Deportation darum bat, stets auf seine Mutter aufzupassen, würde er einmal nicht mehr bei ihnen sein. Was Viktoria Evers während des Podiumsgespräches sagte, findet auch Martine sehr schön. Immer wieder wolle sie die Geschichte und die Worte ihres Großvaters teilen, damit sie niemals verloren gingen.
Das eigene Handeln reflektieren
Die Formulierung „immer wieder“ paßt zu meiner nächsten Frage, denn mich interessiert, wie man die Kraft aufbringt weiterzumachen? Sich ständig weiter, auch ohne den expliziten Wunsch des betroffenen Vorfahren, mit dem Geschehenen zu beschäftigen? Wie schafft man das? Dieser Gedanke ist mir gerade auch während meiner Teilnahme am Projekt „Welcher Film spielt denn hier?“ immer wieder gekommen. Ich weiß jetzt, dass eine Recherche zur Familiengeschichte nicht nur ein ständiges Hinterfragen des Handelns deiner Vorfahren, sondern meist auch deines eigenen Umgangs damit bedeuten kann: Immer wieder beginnt man, an der Richtigkeit seines eigenen Vorgehens zu zweifeln.
Ob Martine einen Weg für sich gefunden hat, innerlich ein gewisses Vertrauen in ihre Richtung und ihre Ziele zu entwickeln, hat mich deshalb brennend interessiert. Doch sie betont mir gegenüber: Phasenweise müsse man unbedingt stehen bleiben, man müsse es sich erlauben können. Auch wenn ihre Position in der Amicale Internationale de Neuengamme sie zwingt, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen, auch wenn ihre familiäre Betroffenheit ihre Arbeit belastender und dauerhafter sein lässt, so ist sie sich sicher, auch Abwechslung zu brauchen. Diesen Rückzug ermögliche ihr das Schreiben ihrer Bücher, denn die Themen könne sie danach wählen, wie belastend sie für sie selbst seien. Nach einer kurzen Pause lacht Martine. Aus irgendeinem Grund, schmunzelt sie, fänden die Menschen dann doch ihre Bücher mit Bezug zum zweiten Weltkrieg am Schönsten.
Überall auf der Welt gibt es Menschen, die von den Verbrechen der Nazis betroffen waren und sind
Das Mittagessen war schon fast vorbei, aber eine Sache wollte ich noch wissen. Vor meinem engen Kontakt mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wäre es mir nie in den Sinn gekommen, dass es dort draußen Nachkommen von Täter_innen und Vefolgten gibt, die sich tagtäglich so intensiv mit den Geschichten ihrer Verwandten beschäftigen, dass es nahezu dem Umfang einer Vollzeitbeschäftigung entspricht. Alles wichtige, dachte ich, all die zahlreichen Theorien, wären längst archiviert. Dass es aber keinen Schlussstrich für die Beteiligten des Podiumsgesprächs gibt, dass es nie genug mögliche Erklärungen geben kann, das ist eine meiner Erkenntnisse aus dem diesjährigen Forum, die, wie ich finde, noch möglichst viele andere Menschen erreichen sollte. Also wollte ich von Martine wissen, wie man mehr Menschen wissen lassen, dass solche Bemühungen einzelner Menschen, die mit soviel Kraft und Einfühlungsvermögen verbunden sind, existieren? Sollten sie, oder müssen sie es vielleicht sogar wissen?
Ich komme zu der These, dass der Drang, zu forschen, nur durch einen vertretenden Menschen vermittelt werden kann . Forscher, die sich mutig in die Täter aus ihren Familien hineinversetzen und Gründe besser nachvollziehbarer machen können als jedes Archiv, nämlich auf Grundlage ihrer Kenntnis des jeweiligen Menschen. Diese Nachkommen sollten für mich keine Schattenfiguren, sondern Vorbilder sein, mit denen sich junge Menschen identifizieren können. Mit Jugendlichen, die die Handlungen ihrer Eltern tagtäglich hinterfragen und sich Unabhängigkeit erarbeiten wollen, haben sie nicht wenig gemeinsam.
Eine Gemeinsamkeit, die für das Geschehene sensibilisieren könnte? Martine stimmt mir zu, dies sei einer der Gründe, weshalb ihr Ehemann Rinke Smedinga, Sohn eines niederländischen Mitglieds der Wachmannschaften des Lagers Westerbork, regelmäßig Schulen in den Niederlanden besuche. Trotzdem sei die Öffentlichkeit sehr belastend, für ihren Mann, für den – genau wie für Martine – auch der selbstgewonnene Abstand von Zeit zu Zeit wichtig. Bei Rinke Smedingas Arbeit an Schulen sei es ebenso von Bedeutung, dass die Geschichte der Niederländer auf der „falschen Seite“ bekannter werde, die Thematik verschwinde nämlich mehr und mehr im kollektiven Geschichtsbewusstsein. Martine erklärt mir, dass Rinke von einer Agentur an verschiedenste Schulen geschickt wird, trotzdem würden nicht alle Schulen gleichmäßig erreicht. Es gäbe immer einige Schulen, die aktiv sind, andere hingegen gar nicht. So wie in Hamburg auch, pflichte ich ihr bei.
Nach dem Forum „Zukunft der Erinnerung“ …
Gestern, am 4. Mai: Im Zeitzeugengespräch mit Livia Fränkel, an dem viele Schulklassen teilnahmen, fiel mir etwas auf, dass ich nun zum Abschluss gerne erwähnen möchte.
Menschen meines Alters suchen nach Gesichtern, die ihnen die Geschichte veranschaulichen. Die Fragen, die die Jugendlichen gestern der Zeitzeugin stellten, richteten sich allzu oft an den Umgang mit der Geschichte im Kreise der Familie Fränkel. Es wurde nach den Kindern, Enkeln und Urenkeln von Livia Fränkel gefragt, danach, wie sie denn alle mit ihrer Familiengeschichte umgingen.
Für die Schüler und Schülerinnen schien ganz klar:
Die Leben von ihnen und von Livia Fränkel überschneiden sich – denn ihre Urenkel stehen vor den gleichen Fragen an Gegenwart und Zukunft wie sie. An die Angehörigen, die Zweitzeugen, wurde ein Teil der Geschichte weitergegeben. Wie sie selbst damit umgehen, wie sie diesen Teil auch nach außen tragen – nämlich in dieselbe Lebensrealität, in der sich auch die Schüler befinden – ist unglaublich interessant.
Ich hoffe, dass in Zukunft weiterhin viele Angehörige – von Verfolgten als auch von Täter_innen – den schwierigen Schritt in die Öffentlichkeit wagen, um die vielen Fäden zwischen damals und heute sichtbarer und greifbarer zu machen