Auf die Frage, was sie sich für die Erinnerung an die NS-Zeit in Zukunft wünschen, ist acht Schülerinnen und Schülern aus Hamburg und Umgebung eine sehr präzise und auch bewegende Antwort in ihrer Rede bei der Gedenkfeier der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (ab 1:01:8 im Video) anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes und der Befreiung am 4. Mai 2015.gelungen. Vor 1000 Gästen, unter ihnen 54 Überlebende des KZ Neuengamme und seiner Außenlager, legten sie sich selbst eine wichtige Aufgabe auf:
Unser Ziel ist es nicht nur, die Erinnerung aufrechtzuerhalten, sondern auch die Verantwortung zu übernehmen, unsere Mitmenschen zu inspirieren, respektvoll mit einander umzugehen.
Viel Mut gehört dazu, als junger Erwachsener einen solchen, wenn auch indirekten, Appell an seine Mitmenschen zu richten. Noch während des zweitägigen Vorbereitungs-seminar Ende April 2015 war dieser Mut kaum erkennbar. Eher zweifelten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Jugendprojekts daran, ob sie überhaupt eine Botschaft für ihr Publikum hätten. Sie hatten noch gar nicht realisiert, dass sie durch die Erfahrungen der zwei Seminartage Ende April 2015 zu Experten werden würden.
Lernen heißt Erfahrungen machen
Die jungen Erwachsenen haben gemeinsam das Gelände der Gedenkstätte und ihre Ausstellungen besucht. Tief betroffen waren sie nach dem Lesen der Botschaften von Angehörigen an ihre ermordeten Verwandten im Haus des Gedenkens. Diskutiert haben sie auch über die deutsche Kultur der Erinnerung. Dabei haben sie sich immer wieder ausgemalt, wie es wohl sein würde ehemalige Häftlinge aus dem Ausland und ihre Angehörigen kennenzulernen und welche Fragen sie ihnen stellen könnten.
Begegnungen
Die Nervosität war dann auch schnell verflogen als bereits am 2. Mai im informellen Rahmen die ersten Bekanntschaften geschlossen wurden. Mit Herzlichkeit und großer Freude über ihr Interesse an den Geschichten der Überlebenden wurden sie empfangen. Die jungen Erwachsenen merkten, dass sie in den Gesprächen auch dank ihres Wissens von ihren Gegenübern Anerkennung fanden.
Zugehörigkeit
Schon am 3. Mai 2015 bei der Gedenkfeier auf dem Ehrenfriedhof Cap Arcona in Neustadt anlässlich des 70. Jahrestags der Schiffskatastrophe war es offensichtlich, dass die acht Schülerinnen und Schülerinnen sich zugehörig fühlten. Sie halfen die Übersetzungen der Reden unter den Anwesenden zu verteilen. Doch erst am Vormittag des 4. Mai erkannten auch die jungen Erwachsenen selbst, dass sie sich einen Anspruch auf Gehör bei der Gedenkfeier erarbeitet hatten. Anders als ihre zahlreichen Altersgenossen, die mit ihren Klassen am Vormittag des 4. Mai an Zeitzeugengesprächen teilnahmen, hatten sie sich den Ort bereits zu eigen gemacht, wussten nicht nur Bescheid über seine Geschichte, sondern kannten die Überlebenden, ihre Angehörigen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte. Bitten um Unterstützung erfüllten sie gerne und liefen dabei mit klarem Ziel vor Augen an den orientierungslos wirkenden Schulklassen vorbei.
Sich erinnern, jeden Tag auf’s Neue
In ihrer Rede nannten sie sich selbst „Zweitzeugen“, doch insbesondere während des Forums „Zukunft der Erinnerung“ am 5. und 6. Mai 2015 haben sie durch ihre Vorschläge für Projekte und durch ihre konstruktiven Nachfragen gezeigt, dass sie nicht nur passive „Zeugen“ der Berichte der Überlebenden sind. Vielmehr sind sie Visionäre eines Erinnerns, das im Alltag genauso wie an Jahrestagen stattfindet. Menschen mit Respekt zu behandeln heißt auch, sich der Menschen zu erinnern, denen dieser Respekt in der Geschichte nicht entgegengebracht wurde.