Für die Präsentation der Erinnerungsplakate für die Mitglieder unserer Familien, die im KZ Neuengamme gelitten haben, bin ich sehr dankbar. Jeder Verfolgungsweg scheint anders gewesen zu sein, nur das Leiden bringt sie alle zusammen. Das konnte ich auch immer in den Worten meines Vaters spüren, seinem großen Respekt davor, was seine Mithäftlinge durchmachen mussten.
Rund 50 Menschen aus verschiedenen Ländern nahmen am 2. Mai 2021 am „Digitalen Plakatieren“ am Ort der Verbundenheit teil. Einen Tag vor der offiziellen Gedenkfeier zum 76. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager trafen sich Angehörige ehemaliger Häftlinge und Interessierte online, um mit dabei zu sein, wenn neue Poster am Ort der Verbundenheit plakatiert und vorgestellt werden. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier.
Wie bereits die Eröffnung des Ortes der Verbundenheit im November 2020 musste auch diese Veranstaltung sich den aktuellen Corona-Bestimmungen anpassen und konnte nur online stattfinden. Durch Live-Schaltungen zum Denkmal, an dem die Helfer*innen vor Ort während der gesamten Veranstaltung Poster plakatierten, konnte allerdings eine Verbindung zwischen der realen und digitalen Welt hergestellt werden. In ihrem Grußwort lobte Martine Letterie, Präsidentin der Amicale Internationale KZ Neuengamme, die Anpassungsfähigkeit der Initiator*innen: „Es ist typisch für die Ausdauer der Arbeitsgruppe, dass sie sich von diesen restriktiven Maßnahmen nicht entmutigen ließ – und davor ziehe ich meinen Hut.“ Dennoch schwang während der gesamten Veranstaltung die Hoffnung mit, sich möglichst bald auch wieder persönlich begegnen zu können, den Ort der Verbundenheit persönlich zu besuchen und weiter wachsen zu sehen.
Uta Kühl, Tochter des ehemaligen KZ-Häftlings Hermann Kühl, eröffnete die Veranstaltung im Namen der Arbeitsgruppe „Ort der Verbundenheit“. Nach einem Grußwort von Martine Letterie folgte eine erste Live-Schaltung zum Ort der Verbundenheit. Hier leitete Bernhard Esser, Sohn des Neuengamme-Überlebenden Rudolf Esser, das Plakatieren ein und stellte die helfenden Hände vor Ort vor. Unter ihnen war Jesko Fezer, der als Professor für Experimentelles Design an der Hochschule für bildende Künste Hamburg gemeinsam mit Studierenden den Ort der Verbundenheit mit entworfen hat. Er erklärte im Rahmen der Veranstaltung die Idee hinter dem Aufbau des Denkmals: „Das Plakatieren ist Teil des Denkmals und Teil des Prozesses […]. Ein wesentlicher Teil ist auch die Erstellung der Plakate. Angehörige erinnern sich, schreiben Texte, sammeln Bilder […]. Und dieser ganze Prozess ist das Denkmal. Was wir hier sehen, sind nur Orientierungspunkte, Hilfestellungen oder Werkzeuge für diesen Prozess. Das Plakate-Machen, das Drucken, das Plakatieren ist das Wesentliche dieses Erinnerns […]. Und dieser Prozess hört nicht auf. Plakate kommen hinzu und Plakate werden gestaltet.“
Und auch an diesem Tag kamen neue Plakate an den Plakatwänden hinzu. Hierfür sorgten die Helfer*innen, während Montse Blanco Odradors, Greetje Van den Driessche und Hélène Berron die Plakate, die sie für ihre Angehörigen gestaltet haben, vorstellten.
Montse Blanco Obradors berichtete von der Geschichte ihres Großvaters Miquel Obradors Mas aus Spanien. Sie schilderte die Ungewissheit ihrer Familie über das Schicksal von Miquel Obradors Mas nach seinem letzten Lebenszeichen im Jahr 1943. Erst 2018 erfuhr sie von seiner 1944 erfolgten Deportation in das KZ Neuengamme. Doch auch dort verliert sich wieder seine Spur. Deswegen ziert das Plakat unter anderem auch eine Landkarte mit allen bekannten Stationen Miquel Obradors Mas‘.
Greetje Van den Driessche berichtete von ihrem Großvater Urbain Van den Driessche aus Belgien und drückte ihre Dankbarkeit aus, dass ihre Familie ihren Großvater durch das Poster ehren kann – „Für unsere Familie war es auch eine Möglichkeit, unsere Gefühle auszudrücken“. Aus diesem Grund findet sich ein bewegendes, selbstverfasstes Gedicht auf dem Plakat, das sich mit der Frage beschäftigt: „Kann man etwas vermissen, das man nicht kennengelernt hat?“.
Als weitere Angehörige stellte abschließend Hélène Berron das Poster über ihren Vater Roger Cornu aus Frankreich vor. In einer ergreifenden Ansprache berichtet sie von dem Bestreben ihres Vaters, das Versprechen zu halten, niemals zu vergessen, und Zeugnis abzulegen, um zu ehren. Und von seinem Bedürfnis, Verbindung zwischen den Familien in Trauer und den Familien der Überlebenden zu knüpfen.
Die abschließenden Worte der Veranstaltung sprach Bernhard Esser am Ort der Verbundenheit. Er stellte weitere Plakate vor, die an diesem Tag erstmals plakatiert wurden und in Zukunft hoffentlich von den Angehörigen und Besucher*innen persönlich am Ort der Verbundenheit vervielfältigt und plakatiert werden können. Denn, wie Bernhard Esser es zusammenfasste, „die Plakate verwittern mit der Zeit. Es liegt an uns, das Gedenken an unsere Angehörigen wachzuhalten und in die nächste Generation hineinzutragen […]. Erinnern heißt Handeln“.
Im Anschluss an das digitale Plakatieren trafen sich interessierte Angehörige noch zu einem Austauschtreffen, das aufgrund der Corona-Pandemie ebenfalls online stattfand. Angehörige aus den Niederlanden, Frankreich, Spanien, Belgien, Kroatien und Deutschland tauschten sich zu unterschiedlichen Themen aus. Des Weiteren war auch Zeit und Raum, Nachfragen zum Ort der Verbundenheit zu stellen, der vielfach als Bereicherung gesehen wurde. Gleiches galt für die Gelegenheit zum Austausch. Es wurde der Wunsch nach weiteren Austauschtreffen von den Angehörigen geäußert. Somit bleibt die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen – bestenfalls persönlich am Ort der Verbundenheit.