Wo ist Opas Name? War er nicht hier als Häftling?
Diese Frage eines Enkelkinds eines ehemaligen Häftlings, der das KZ Neuengamme überlebte, zeigt, welches Unverständnis es bei Angehörigen ehemaliger Häftlinge auslöst, wenn die Namen ihrer Verwandten nicht am Ort der Hafterfahrungen genannt werden. Dieses Unverständnis wird noch verstärkt, wenn die Namen einiger Überlebender ausgestellt sind. Die schriftliche Nennung des Namens eines ehemaligen Häftlings wo er für die Öffentlichkeit sichtbar ist, unterstreicht zunächst die Tatsache, dass der Mensch die KZ-Haft hatte durchmachen müssen. Darüber hinaus gibt es aber weitere Ziele, die mit der öffentlichen Nennung erreicht werden.
Am 6. Mai 2015 kamen 14 Personen zusammen, um sich im Workshop „Ideen für die Sichtbarmachung der Namen von Überlebenden an einem Ort in der KZ-Gedenstätte Neuengamme“ im Rahmen des Forums „Zukunft der Erinnerung“ über die Gründe für die Sichtbarmachung der Namen aller Häftlinge des KZ Neuengamme auszutauschen und Ideen für Projekte zur Nennung der Namen zu entwickeln. Die Arbeitsgruppe, die sich aus Angehörigen ehemaliger Häftlinge des KZ Neuengamme aus Deutschland und den Niederlanden, Gedenkstättenmitarbeiterinnen sowie Schülerinnen und Interessierten zusammensetzte, widmete sich aber zunächst der Frage, ob es auch Gründe gegen die Sichtbarmachung der Namen geben könne.
Privatsphäre der ehemaligen Häftlinge
Die Möglichkeit, dass manche ehemaligen Häftlinge es bevorzugen könnten, ihre Privatsphäre zu schützen, wurde ausführlich besprochen. Hierbei ging es auch, aber nicht nur, um die Interessen ehemaliger Häftlinge, die auf Grund ihrer Haftgründe nach dem Krieg keine Anerkennung gefunden hatten. Auch der Bericht über das Schweigen einer Familie über die Zeit der KZ-Haft eines Familienmitglieds verdeutlichte, dass es auch Angehörigen nicht immer leicht fällt, sich an diesen Aspekt der Familiengeschichte zu erinnern. Diese unterschiedlichen Gedanken bereicherten die anschließende Thematisierung der Gründe für eine Nennung der Namen der Überlebenden, so dass sehr unterschiedliche Gründe für die Sichtbarmachung genannt wurden:
• Die Namensnennung macht rückgängig, dass den Häftlingen diese bei der Ankunft im Lager geraubt und durch eine Nummer ersetzt worden. So wird die Geschichte jedes einzelnen Häftlingsanerkannt. Diesen Gedanken greift auch die Ausstellung „Names not Numbers“ des Widerstandsmuseum Amsterdam auf.
• Für die Angehörigen ist es wichtig, dass ehemaligen Häftlingen – und dadurch auch den Angehörigen – auf diese Weise Respekt gezeigt wird.
• Die Namen machen es für Besucher der Gedenkstätte, insbesondere für Schülerinnen und Schüler einfacher, zu verstehen, dass es sich bei den Häftlingen um Menschen mit individuellen Geschichten handelt.
Im Anschluss an diese Diskussion wurden sechs Vorschläge für die Sichtbarmachung der Namen entwickelt.
Die sechs Vorschläge
1. Glasplatten mit Namen ehemaliger Häftlinge in schwarzer Schrift (Sichtbarmachung der Namen im ehemaligen Häftlingslagerbereich)
Wo sich während der Zeit des Konzentrationslagers Neuengamme der Lagerzaun um das Häftlingslager befand, erinnern heute Metallstelen symbolisch an dessen Verlauf. Zwischen den Stelen, die an die äußere Umzäunung erinnern – so sieht es dieser Vorschlag vor – sollen Glasplatten aufgestellt werden. Zwischen zwei Stelen wird jeweils in schwarzen großen Lettern der Name eines ehemaligen Häftlings des KZ Neuengamme zu lesen sein.
Begründet wurde dieser Vorschlag damit, dass beim Betreten der Gedenkstätte am Haupteingang sofort jedem Besucher durch die Sichtbarkeit der Namen verdeutlicht wird, dass es sich bei den Häftlingen um Personen mit individuellen Geschichten handle, nicht um eine abstrakte Zahl von Häftlingen. Darüber hinaus würden die Namen auch jedem Passanten bzw. Autofahrer auf dem Jean-Dolidier-Weg entlang der Gedenkstätte an die Geschichte des Ortes erinnern.
2. Steine mit Namen ehemaliger Häftlinge (Sichtbarmachung der Namen im ehemaligen Häftlingslagerbereich)
Im ehemaligen Häftlingslagerbereich der KZ-Gedenkstätte Neuengamme erinnern Gabionen an die Standorte der Baracken. Helle Steine im inneren der Gabionen werden von roten Klinkersteinen ge-säumt. Auf diese Steine, so der Vorschlag, werden die Namen ehemaliger Häftlinge geschrieben.
Hinter diesem Vorschlag steht insbesondere die Überlegung, dass an die einzelnen Häftlinge genau dort erinnert werden solle, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen auf viel zu engem Raum leben mussten.
3. Gedenksteine (Sichtbarmachung der Namen im Gedenkhain)
Denkmale und Gedenksteine erinnern unweit des Internationalen Mahnmals im Gedenkhain an bestimmte Verfolgtengruppen und einzelne ehemalige Häftlinge. In den meisten Fällen haben entsprechende Verbände und Familienangehörige diese Projekte durchgeführt. Zwar kommen immer wieder neue Gedenksteine hinzu, doch, so dieser Vorschlag, könnte in der parkähnlichen Anlage auf individuelle Weise an eine viel größere Zahl ehemaliger Häftlinge erinnert werden.
Um Angehörige, die die Kosten für einen Gedenkstein nicht übernehmen können, zu unterstützen, sieht dieser Vorschlag die Einrichtung von Patenschaften vor, ähnlich den Patenschaften, die für die „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demning übernommen werden können. Privatpersonen, insbesondere Schülerinnen und Schüler, können sich ausgehend vom individuellen Schicksal der Häftlinge, für deren Gedenkstein sie eine Patenschaft übernehmen, einen persönlichen Zugang zur Geschichte der Häftlinge des KZ Neuengamme gewinnen und durch den Kontakt zu den Angehörigen auch die Auswirkungen auf die Familien der Deportierten kennenlernen.
4. Bank mit Namenstafeln (Sichtbarmachung der Namen im Gedenkhain)
Die Inspiration für diesen Vorschlag ist die „Public Bench“ des deutschen Künstlers Jochen Gerz in Coventry, England. Auf der 45 Meter langen Bank konnten Bürger und Besucher der Stadt Coventry Plaketten mit ihrem eigenen Namen, dem Namen einer weiteren Person und einem Datum anbringen lassen. Entsprechend beinhaltet dieser Vorschlag die Errichtung einer schlichten langen Bank, auf der Angehörige Gedenkplaketten für ihre Verwandten anbringen lassen können. Sie haben dabei die Möglichkeit, ihren eigenen Namen oder auch die Namen der gesamten Familie auf der Plakette aufzuführen. So können auch die Auswirkungen der KZ-Haft auf die Familien der ehemaligen Häftlinge zum Ausdruck gebracht werden.
Der Vorschlag beinhaltet, dass Anträge für die Anfertigung von Plaketten über das ganze Jahr verteilt eingereicht werden können. Jedes Jahr wird es aber eine feierliche Anbringung der Gedenkplaketten in Anwesenheit der Angehörigen der ehemaligen Häftlinge geben. Dieser Festakt solle idealerweise im Vorfeld der Gedenkfeiern im Mai organisiert werden.
5. „Die Erinnerung wächst weiter“ (Sichtbarmachung der Namen im Gedenkhain)
Hinter dem Titel „Die Erinnerung wächst weiter“ verbirgt sich der Vorschlag, für jeden ehemaligen Häftling des KZ Neuengamme einen Baum auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu pflanzen. Jeder Baum wird mit einer kleinen Gedenktafel für den jeweiligen ehemaligen Häftling versehen werden.
Die Idee, Bäume zu pflanzen, wurde mit dem positiv besetzten Bildes eines Baumes begründet. Einen Baum für einen ehemaligen Häftling an dem Ort, an dem an seine Erfahrungen erinnert wird, so hieß es, habe etwas Lebensbejahendes. Darüber hinaus können die Bäume von Angehörigen genutzt werden, um an einem festen Ort ihres Familienmitglieds zu gedenken.
6. „NeuengammeLinkedin“ (Erinnern online)
Anders als die übrigen Vorschläge sieht die Idee, eine Art „NeuengammeLinkedIn“ einzurichten, nicht die Sichtbarmachung der Namen der ehemaligen Häftlinge vor. Vielmehr soll die Aufführung ihrer Namen und Lebensgeschichten im Internet geschehen. Eine erweiterbare Online-Liste zur Sichtbarmachung der Namen wird dabei durch die KZ Gedenkstätte Neuengamme bereitgestellt.
Ein internationaler Blog erleichtert die Vernetzung der Angehörigen. Sie können feststellen, welche anderen Häftlinge mit ihrem Angehörigen gleichzeitig im KZ gewesen sind. In einem nächsten Schritt vernetzen sie sich mit den Angehörigen dieser Mithäftlinge ihres Verwandten . In einem „Biographie-Baukasten“ können Informationen über und Erinnerungen an einzelne ehemalige Häftlinge unter dem Namen der jeweiligen AutorInnen veröffentlicht werden. Diese müssten nicht zusätzlich von der Gedenkstätte verifiziert werden.
Welche Ideen haben Sie für die Sichtbarmachung der Namen der Überlebenden? Wir laden Sie herzlich ein zum Treffen der AG Sichtbarmachung am 17. September 2015 um 18 Uhr. Um Anmeldung wird gebeten. Wir bestätigen Ihnen den Eingang Ihrer Anmeldung und teilen Ihnen den genauen Treffpunkt mit.