Nicole Duijkers, Mitglied des Vorstands der Stichting Vriendenkring Neuengamme, fand in ihrem Elternhaus den Koffer ihres Großvaters, der das KZ Neuengamme nicht überlebt hatte. Darin waren persönliche Dokumente, unter anderem Briefe, die er seiner Frau aus dem KZ Neuengamme geschrieben hatte.
„Es ist etwas Besonderes, dass ich durch diesen Fund meinen Opa viele Jahre nach seinem Tod kennen lerne.„
Mit Martine Letterie sprach Nicole Duijkers über ihren Großvater und ihr Engagement im Vriendenkring Neuengamme. Die Erstveröffentlichung des Interviews erschien im Bulletin der Stichting Vriendenkring Neuengamme.
Martine Letterie (ML): Wer bist Du?
Nicole Duijkers (ND): Nicole Duijkers, ich bin 37 Jahre, wohne glücklich mit jemandem zusammen und habe einen Second-Hand-Laden mit Markenkleidung in Weesp.
ML: Was ist Deine Beziehung zur KZ Gedenkstätte Neuengamme und dem Vriendenkring Neuengamme?
ND: Mein Opa Jan Duijkers (1900-1945) wurde im September 1944 in seinem Wohnort Amersfoort verhaftet. Gute zwei Wochen war er im Lager Amersfoort gefangen, bis er am 11. Oktober auf Transport in das KZ Neuengamme ging, im gleichen Transport wie die Männer aus Putten. Es ist nicht bekannt, ob er in einem Außenlager oder nur im Hauptlager war. Nach Angaben des Roten Kreuzes ist er am 3. Mai 1945 auf der Cap Arcona ums Leben gekommen. Es gibt Zeugenaussagen, dass er an Bord gewesen sein soll.

Jan Duijkers (1909-1945). Privatbesitz Nicole Duijkers
Mein Vater war schon kurz nach ihrer Gründung bei der Stiftung Vriendenkring Neuengamme mitgearbeitet. Als er 2013 starb, war er derjenige, der am längsten im Vorstand gewesen war. In den letzten Jahren hatte er die Erinnerungsreisen geleitet, die der Vriendenkring in die KZ-Gedenkstätte Neuengamme machte. 2011 bin ich selbst das erste Mal mitgefahren und habe mich in dieser Gesellschaft gleich gut aufgehoben gefühlt. Beim nächsten Mal fuhr ich wieder mit und habe meinem Vater bei dem alltäglichen Kleinkram geholfen. Als er starb, wurde ich seine Nachfolgerin im Vorstand. Ich habe seine Aufgaben als Reiseleiterin übernommen.
ML: Was für einen Gegenstand hast Du von Deinem Opa?

Jan Duijkers Koffer von der NANHING Leather Co. aus Shanghai. © Privatbesitz Nicole Duijkers.
Als er damit aufhörte, war er bei verschiedenen Arbeitgebern und hatte auch für kurze Zeit eine eigene Fabrik, die Konfekt aus Schokolade und Apfelsinen herstellte. Kurz vor dem Krieg trat er als Reserveoffizier in den Wehrdienst ein. 1940 fing er dann mit einem eigenen Unternehmen an: dem Amersfoortsche Nachtveiligheidsdienst. Der stellte Nachtwächter, die die Häuser der Kunden bewachten.
An dem Koffer hängt ein lederner Anhänger, darin ist eine Karte mit dem Logo des Unternehmens, der Adresse und dem Text: J. Duijkers, Reserveoffizier für besondere Aufgaben und Direktor des Amersfoortsche Nachtveiligheidsdienst. Die Innenseite des Koffers ist grün/bordeauxrot kariert und hat verschiedene Fächer.

„J. Duijkers, Reserveoffizier für besondere Aufgaben und Direktor des Amersfoortsche Nachtveiligheidsdienst.“ © Privatbesitz Nicole Duijkers.
Als mein Opa starb, blieb der Koffer in seinem Haus in Amersfoort. So kam er zu meiner Oma. Als sie in ein Altersheim zog, musste ihr altes Zuhause aufgeräumt werden. Wahrscheinlich hat mein Vater, der ihr einziges Kind war, ihn dann mit nach Hause genommen.
ML: Wie ist der Koffer in Deinen Besitz gekommen?
ND: Ich glaube, dass ich ihn das erste Mal bei meiner Oma gesehen habe als ich noch ganz klein war. Ab und zu erlaubte sie mir, mir ein kleines Fotoalbum anzuschauen, das darin aufbewahrt wurde. Ich hatte den Koffer völlig vergessen, bis ich ihn dann 2014 beim Aufräumen meines Elternhauses in einer Ecke auf dem Dachboden fand. Ich nahm den Koffer mit, und zuhause wurde mir dann klar, dass er die Lebensgeschichte meines Opas enthielt. Es waren Gegenstände aus seinem ganzen Leben darin: Lehrbücher und Hefte aus seiner Zeit an der Seefahrtschule, Stempel und die Buchhaltung von seinem Unternehmen und auch viel persönlichere Gegenstände wie die Zeichnungen, die er gemacht hatte, als er jung war, Kalender, Briefe – darunter Liebesbriefe an meine Oma – und die Gala-Uniform eines Reserveoffiziers.
Für mich waren die spannendsten Dokumente die Briefe, die er nach seiner Verhaftung an meine Oma schickte. In der kurzen Zeit die er im Lager Amersfoort gefangen war, hat er es geschafft, fünf Briefe aus dem Lager Amersfoort herauszuschmuggeln. Außerdem war in dem Koffer noch ein Brief, den mein Opa unterwegs in dem Zug nach Hamburg geschrieben hatte. “Wir stehen vor Hamburg“, schrieb er. Einige Monate später schickte er noch zwei legale Briefe direkt aus Neuengamme, die meine Oma auch in dem Koffer aufbewahrte. Sein letztes Lebenszeichen war vom 28. Januar 1945.
ML: Was bedeutet Dir der Koffer?
ND: Ich finde es etwas Besonderes, dass ich durch ihn meinen Opa so viele Jahre nach seinem Tod kennen lerne. Der Inhalt des Koffers gibt mir einen Einblick in die Geschichte der Familie von der Seite meines Vaters.
ML: Was wirst Du mit dem Koffer machen?
ND: Ich werde ihn pflegen und ordnen. Es hängen an seiner Lebensgeschichte doch mehr Aspekte als ich im ersten Augenblick dachte. Daher untersuche ich zusammen mit der Schriftstellerin Martine Letterie was das alles bedeutet und was nun wirklich alles in seinem Leben passiert ist, während des Krieges und in den Jahren danach. Das braucht Zeit, der Koffer war nicht ohne Grund dreißig Jahre verschlossen.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Ulrich Gantz.