Ein Schmerz, der unbearbeitet blieb
80 Jahre nach dem Putsch General Francos, der 1936 in Spanien einen dreijährigen, gnadenlosen Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Anhängern der Republik ausgelöst hatte, ist Spanien noch weit von einem gesellschaftlichen Konsens über die Erinnerung an die Opfer des Franquismus und den Umgang mit den Täter_innen und Unterstützer_innen des Regimes entfernt. Der Konflikt schwelt für gewöhnlich unter der Oberfläche, doch führen Vorstöße in Richtung einer progressiven Auseinandersetzung immer wieder zu Eklats und politischen Anfeindungen.
Schmerz und Hass werden über Generationen vererbt
Im bitter kalten Januar des Jahres 1939 eroberten die Truppen General Francos die Stadt Barcelona, in der die Anhänger der Spanischen Republik und die gewählte Regierung mit letzten Kräften gegen die Putschisten Widerstand geleistet hatten. Die absehbare militärische Niederlage löste einen Massenexodus aus: etwa 450.000 Republikaner, Soldaten, alte Menschen, Frauen, Kinder, flohen – meist zu Fuß – innerhalb weniger Wochen über die Grenze nach Südfrankreich. Mehr als die Hälfte blieb im erzwungenen Exil. Franco, der „Caudillo“, übte erbarmungslos Rache an den Besiegten und etablierte eine Diktatur, die erst 36 Jahre später, nach seinem Tod, enden sollte.
Während meines Freiwilligenjahres mit „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ in der südfranzösischen Gedenkstätte Rivesaltes und einem Praktikum im Memorial Democràtic, der für Erinnerungsarbeit zuständigen katalonischen Behörde in Barcelona, sind mir auf beiden Seiten der Grenze zahlreiche Menschen begegnet, die in sich die ungestillten Verletzungen und den unversöhnlichen Hass des Bürgerkrieges bewahrt und vielfach an ihre Kinder und Kindeskinder weitergegeben hatten.
30 neue Straßennamen in Madrid
Wie kompliziert und problematisch die offizielle Erinnerung im Nachbarland Spanien auch heute noch ist, beschreibt die südfranzösische Tageszeitung „L’Indépendant“ am 25.02.2016 an einem aktuellen Beispiel: Zwar hatte die sozialistische Regierung unter Zapatero 2007 endlich die lange erwartete „Ley de la Memoria histórica“ (Gesetz zur Regelung des historischen Gedenkens), das in seiner Ambivalenz die Zerrissenheit der spanischen Gesellschaft seit dem Putsch Francos widerspiegelt, gegen die Abgeordneten der rechtskonservativen PP (Partido Popular) im spanischen Parlament beschlossen, doch die konkrete Umsetzung ließ vielfach auf sich warten.
Nun war im vergangenen Dezember die neue Mehrheit aus „Indignados“ und „Podemos“ im Madrider Stadtrat vorgeprescht und hatte in einem Erlass die Umbenennung von 30 Straßen angeordnet, die noch an das Franco-Regime erinnern. Davon betroffen war auch der „Salvador-Dalí-Platz“ Der Künstler war ein Bewunderer Francos und hatte aus dessen Hand eine der höchsten spanischen Auszeichnungen erhalten.
„Madrid will alle Spuren des Franquismus auslöschen“ titelte „L’Indépandant“. Doch die Initiative der „Indignierten“ unter der Bürgermeisterin Manuela Carmena erregte den Zorn der rechten Abgeordneten, und auch der sozialistischen Fraktion ging die Maßnahme zu weit.
1975 – ein zwiespältiger Kompromiss
Dieser tief verwurzelte Konflikt wirkt bis heute nach und spaltet immer noch Familien, Gesellschaft und Politik. Die franquistische Repression und ihre einseitige historische Ausrichtung sowie der Stillhaltepakt in der Phase der „Transición“ (des Übergangs zur Demokratie) nach dem Tode des Caudillo 1975 haben bis heute eine echte Erinnerungsarbeit verhindert und noch weniger eine Aussöhnung der gegnerischen Lager ermöglicht. Im Gegenteil! Das Madrider Rathaus hatte sich die Wut der oppositionellen Rechten zugezogen, als es Anfang Februar mehrere Denkmäler franquistischer Opfer des Bürgerkriegs hatte abtragen und eine Gedenktafel für acht von den Republikanern ermordete Mönche abnehmen lassen.
Die „Taliban des Madrider Rathauses“
Auf einer Internetseite, die sich offenbar dem Nachruhm Francos widmet, von „L’Indépendant“ aber leider nicht genannt wird, sei nun gar von den „Taliban des Rathauses“ die Rede. Die Abgeordneten beauftragten daraufhin ein Historikerteam der Madrider Universität mit der Recherche und der Klärung des Streits. Während dieses noch forschte, legte eine in der Tageszeitung „El País“ veröffentlichte Liste mit nunmehr 256 Namen, die zu verschwinden hätten, die Lunte an das Pulverfass. Die Gelehrten distanzierten sich empört von dieser Liste, mit der sie nichts zu tun haben wollten, und gaben den Auftrag an das Rathaus zurück. Ihrer Meinung nach enthielte diese Liste „die Namen von Persönlichkeiten mit universeller Bedeutung, die diese Behandlung nicht verdienen“. So scheint es, als wäre es Dalí, dem sich u. a. in Figueras ein großes, viel besuchtes Museum widmet, für dieses Mal noch gelungen, in der allgemeinen Verwirrung und inmitten viel zerschlagenen Porzellans sein Renommee zu retten.