Mein Ehemann ist nicht der einzige Verrückte. Hier gibt es viele von ihnen.
Orna lacht und zwinkert Danny, ihrem Ehemann zu. Es ist der Abend vor ihrer Rückreise nach Israel. Das Forum „Zukunft der Erinnerung“ ist gerade zu Ende gegangen. Danny grinst. Er schätzt Ornas Bemerkung sehr. Immer wieder hat sie ihn in den Jahren ihrer Ehe gefragt, warum er sich so viel mit der Verfolgungsgeschichte seiner Eltern beschäftigt. Selbst sein Vater habe doch auch immer nur nach vorne geschaut. Für Orna gibt es nun den Beweis, dass es nichts Außergewöhnliches ist, dass Danny sich für Gedenkstätten engagiert und öffentlich über seine Familiengeschichte spricht.
Doch Zusammenkünfte von Angehörigen ehemaliger Häftlinge aus verschiedenen Ländern finden gewöhnlich nur in großen zeitlichen Abständen zu einander statt. Die Gedenkfeiern, in deren Kontext die Angehörigen zusammenkommen, sind nach wenigen Tagen vorbei. Zurück im Alltag lassen sich ohne feste Strukturen die Gespräche nicht so leicht fortsetzen. Ein Angehörigen-Netzwerk kann hier Abhilfe schaffen.
Überlegen Sie, ein Angehörigen-Netzwerk zu gründen oder einem bereits bestehenden beizutreten? Hier nennen wir drei Vorteile eines Angehörigen-Netzwerks.
1. Gespräche
Zwei Tage vor der Gedenkfeier anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes und der Befreiung der Konzentrationslager hatte die KZ-Gedenkstätte Neuengamme Angehörige ehemaliger Häftlinge zu einem Gesprächsseminar eingeladen. Konzipiert hatten die Veranstalter das Seminar für 20 Personen, doch fast 40 Personen meldeten sich an. Viele weitere schrieben, dass sie gerne kämen, es aber zeitlich nicht schaffen würden. Der Flur des Veranstaltungsgebäudes füllte sich schon lange vor der Anfangszeit. Freudig wurden Hände geschüttelt, alte Bekanntschaften aufgefrischt und neue geschlossen.Was die Angehörigen besprochen haben, ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, aber die Rückmeldungen in den folgenden Tagen waren ohne Ausnahme positiv und häufig mit dem Wunsch verbunden, im nächsten Jahr das Gesprächsseminar wieder anzubieten.
Angehörige ehemaliger Häftlinge finden in einander Gesprächspartner, zu denen sie leicht Vertrauen aufbauen. Trotz Unterschieden in Alter, Herkunft oder Sprache ist die Verfolgungsgeschichte der Familien ein verbindendes Element. Es fällt leichter, über eben diese Verfolgungsgeschichte und ihre Auswirkungen zu sprechen. Ein Netzwerk erleichtert es demnach, den Kontakt zwischen potentiellen Gesprächspartnern herzustellen.
2. Erkenntnisse
Das Netzwerk und die Möglichkeiten zum Austausch, die es bietet, ermöglichen den Mitgliedern einen Zugewinn an Erkenntnissen über die Auswirkungen der Verfolgungsgeschichten in unterschiedlichen Familien. Verbindet das Netzwerk Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern, eröffnet dies Einblicke in die verschiedenen Möglichkeiten des Erinnerns in einzelnen Familien, bringt den Mitgliedern aber auch die Erinnerungskulturen ganzer Länder und Regionen näher.
Der Vergleich des Neuen mit dem Vertrauten unterstützt Angehörige, sich über ihre eigene Vorstellungen, welche Formen der Erinnerung sie sich wünschen, klarzuwerden und diese zu artikulieren.
3. Wirkungsmöglichkeiten
Die Ideen, die durch den Austausch zwischen den Mitgliedern des Netzwerks konkretisiert werden, können auch durch die Unterstützung des Netzwerks effektiver umgesetzt werden. Bereits während der Mehrgenerationenbegegnung im Mai 2014 in der KZ-Gedenkstätte hatten ehemalige Häftlinge, ihre Angehörigen, Gedenkstättenmitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Hamburger Jugendliche und Interessierte eine Erklärung abgegeben, die die gemeinsame Verantwortung der Anwesenden betont:
Es ist […] unabdingbar, sich aktiv einzusetzen und allen deutlich zu machen, dass Hass dazu führt, anderen ihr Menschsein abzusprechen; dass Hass ein Gefühl ist, dem jeder in sich selbst oder in seinem Umfeld entgegentreten sollte. Wir müssen uns für Toleranz und Respekt anderen gegenüber einsetzen, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihren Überzeugungen.
Auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops „Vernetzung von Angehörigen ehemaliger Häftlinge des KZ Neuengamme“ waren sich einig, dass ein Netzwerk von Angehörigen ehemaliger KZ-Häftlinge des KZ Neuengamme vor allem dazu dienen solle, Angehörige in ihrem politischen Engagement für ein zukunftsorientiertes Erinnern zu stärken.
Die hier angesprochene Unterstützung kann viele Formen annehmen. Wie von den Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern selbst angesprochen, kann es zunächst darum gehen, Zuspruch zu bekommen, wenn es Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Projekten, z.B. der Einrichtung neuer Informations- oder Gedenkorte, gibt. Gerade in der Konzeptionierungsphase kann ein Erfahrungsaustausch nützlich sein. Selbst Finanzierungsfragen können leichter geklärt werden, weil ein internationales Netzwerk z.B. auch international Spenden akquirieren kann.
Welche weiteren Gründe sprechen Ihrer Meinung nach für ein Angehörigen-Netzwerk? Haben Sie Interesse einem Netzwerk beizutreten? Dann hinterlassen Sie hier einfach einen Kommentar oder schreiben uns eine E-Mail an info@rfhabnc.org.