„Herdenkingsweek“ 2016
Anfang August 2016: In Meensel-Kiezegem fand die Gedenkwoche, die „Herdenkingsweek“, statt und wir, sechs Mädchen aus Deutschland (und Russland), die am Filmprojekt „Welcher Film spielt denn hier?“ teilgenommen hatten, durften dabei sein. Die paar Tage in Belgien waren für uns alle eine super nette und lehrreiche Erfahrung. Dabei haben wir nicht nur viel über belgische Pommes und Gastfreundschaft gelernt, sondern auch die unterschiedlichen Ansätze zum Thema Gedenken und Erinnerungskultur in Belgien und Deutschland vergleichen können.
Über die unterschiedlichen Herangehensweisen und die „Herdenkingsweek“ habe ich mich mit Oktaaf Duerinckx unterhalten können. Er ist der Sohn eines der Opfer der Razzien, die 1944 in Meensel-Kiezegem stattfanden. Heute hat er, zusammen mit Tom und Ludo Devos und den anderen engagierten Mitgliedern der „NCPGR Meensel-Kiezegem ’44“, die „Herdenkingsweek“ organisiert.
„Wir haben gesagt: Wir machen das. Wir schaffen das… wie Merkel.“
Ich habe ihn nach den Anfängen der Idee für eine Gedenkwoche gefragt. „Wir dachten es muss einmal etwas Anderes und Neues geben in Meensel-Kiezegem. Wenn es möglich ist, machen wir das in den nächsten Jahren noch einmal, das steht aber noch nicht fest.“
Laut ihm begann alles mit der nun auch in Meensel-Kiezegem gezeigten Ausstellung „Deportiert in das KZ Neuengamme. Strafaktionen von Wehrmacht und SS im besetzten Europa“. von 2015 aus dem Hamburger Rathaus und der Unterstützung von Detlef Garbe, dem Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, und seinen Mitarbeiter_innen. Auf den Ausstellungswänden ist neben der Geschichte von Meensel-Kiezegem auch das Schicksal der Städte Putten, Murat und Warschau aufgeführt.
„Wir dachten, am besten ist es, wenn wir die Ausstellung mit der Gedenkveranstaltung in August verbinden. Dafür brauchten wir dann nur noch einen Platz. […] Und dann ist die Idee gekommen die Veranstaltung hier bei Fruit Vanhellemont zu machen. Wir haben hier sonst nicht viele große Möglichkeiten in Meensel-Kiezegem und Mario Vanhellemont hat uns sehr unterstützt. […] Wir haben immer wieder gesagt: Wir machen das. Wir schaffen das … wie Merkel.“ Und bei dem Spruch muss Oktaaf dann doch etwas schmunzeln.
Er beschreibt den Organisationsprozess als gut. Die Gruppe aus Meensel-Kiezegem ist eine vertraute Gemeinschaft, nicht zuletzt durch ihre jährlichen Reisen in die KZ-Gedenkstätte Neunegamme. In den vielen Jahren, in denen sie zusammen Gedenkveranstaltungen organisieren und die Erinnerung an die Opfer bewahren, hat sie die wiederkehrende Routine zusammen geschweißt. „Es ist nicht schwierig mit Tom zu arbeiten. Er ist zwar sehr jung für mich […] aber das Alter macht bei uns keine Probleme.“
Ich habe Oktaaf Duerinckx gefragt ob die Gedenkwoche am Ende so geworden ist, wie er es sich vorgestellt hatte. „Ich meine die verschiedenen Ideen … die Besprechungen mit Tom … jeder hat seine Ideen gehabt und wir haben am Ende versucht, sie alle zusammen zu bringen.“ Dabei lobte er auch Ludo und Tom Devos. „Die haben das Know-How und viel gemacht. Am Ende mussten wir einfach immer daran glauben, dass auch alles so klappt.“
„Mit Essig fängt man keine Fliegen.“
Schon als wir am Samstagabend im Veranstaltungszelt von Friut Vanhellemont ankamen wurde uns recht schnell klar, dass hier eine andere Form von Gedenkveranstaltung stattfindet als wir es aus Neuengamme gewohnt sind.
Draußen wartet eine Hüpfburg auf einen Ansturm von Kindern und daneben eine Cocktailbar in einem Armeezelt. Drinnen im Festzelt bestimmen die lange Bar und die Bühne mit den zwei Großleinwänden das Bild. An den Tischen kann man gemütlich zusammen kommen, nachdem man durch die Ausstellung geschlendert ist. Draußen führt ein Schild ins Cinema Pathé. Im Hintergrund läuft Swing-Musik und irgendwie erinnert es mich mehr an ein entspanntes Dorffest, weil jeder irgendwie jeden zu kennen scheint. Es ist schön und entspannt und selbst bei der Kranzniederlegung am Sonntag ist die Atmosphäre zwar würdevoll aber dennoch entspannt.
Oktaaf meint dazu: „Erstens ist da die Ausstellung aus Hamburg, die wir haben. Zweitens müssen wir die Leute her kriegen, um die Ausstellung zu sehen und auch die ganzen anderen Sachen. Wir sagen hier im flämischen: Mit Essig fängt man keine Fliegen. Das soll heißen, wenn wir nur sagen ‚Da ist eine Ausstellung aus Hamburg‘ da sagen die Leute doch nur ‚ja ja‘. Wenn wir das aber so wie hier machen, mit einem großen Programm und all den Extras, dann kommen die Leute. […] Man muss erst etwas geben bevor sie etwas nehmen werden. Wir haben die Sachen, die ernst sind und auf der anderen Seite auch etwas womit wir die Leute hierher kriegen. […] Auch die Abende haben immer eine Verbindung mit Meensel-Kiezegem. Heute Abend zum Beispiel geht es um den Ersten Weltkrieg, morgen um den zweiten Weltkrieg und das alles angelegt an Meensel-Kiezegem.“
Aber in Meensel-Kiezegem bleibt es nicht nur bei den informativen und mit Vorträgen bestückten Abenden: „Und an einem anderen Tag haben wir ein Quiz in 3 Teilen: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg und Meensel-Kiezegem. Tom hat mir schon gesagt, dass er bereits 20 Tische mit jeweils 5 Leuten voll hat, die das machen wollen.“ Die Abende werden also auch nach unserer Abreise in der Mitte der „Herdenkingsweek“ weiterhin gut besucht sein. Das Geschichtsquiz scheint ja immerhin schon fast ausgebucht.
Ich habe Oktaaf noch einmal auf die bunte Hüpfburg direkt vor unserer Nase angesprochen. „Man bringt die Leute zusammen, damit sie über die Geschichte reden. Dabei bringen sie auch ihre Kinder mit. Daher auch die Hüpfburg. So sind die Kinder beschäftigt. Trotz des traurigen Themas sollen alle hier eine schöne Zeit haben. Wir haben nichts dagegen (Spaß und Gedenken zusammen zu bringen), warum auch?“
„Es ist ein Auftrag die Leute her zu bekommen, und dann sind sie auch interessiert.“
Die Mentalität Spaß und Gedenken zusammen zu bringen ist, zumindest was meine wenige Erfahrung betrifft, noch nicht nach Deutschland vorgedrungen. Mir gefällt der Gedanken jedoch zunehmend. Im Vorfeld an unsere Reise hatten wir von einer 40er Jahre Mottoparty erfahren, die in uns mehr Skepsis hervorgerufen hat. Ist es in Ordnung die 40er Jahre wieder aufleben zu lassen, wenn der Großteil Deutschlands doch versucht, diese Zeit des Krieges und des harten Wiederaufbaus zu vergessen?
Wir waren zugegeben nicht begeistert, doch als Oktaaf darauf zu sprechen kommt, erscheint die Sache plötzlich in einem ganz anderen Licht. Er bezeichnet es auch nicht als eine Mottoparty. Es ist ein „Befreiungs-Ball“.
„Der letzte Abend der Gedenkwoche ist ein großer Befreiungs-Ball. Das war in der Zeit als der Krieg zu Ende war, da gab es Tänze und Feiern in allen Städten und Dörfern und das war die Befreiung von Belgien aus der Besetzung. Wir wollen das glückliche Gefühl wieder aufleben lassen. Hoffentlich in den passenden Kostümen der Zeit. Das ist auch ein amüsanter Teil des Programms. Es ist ein Auftrag die Leute hierher zu bekommen und dann sind sie auch interessiert und gehen in die Ausstellung.“
„Wir sind zufrieden. Und Sie auch?“
Zum Abschluss frage ich Oktaaf Duerinckx noch, was ihm an der Woche am besten gefallen hat. Er muss da natürlich zuerst etwas überlegen, denn das Team hat hier wirklich super Arbeit geleistet und sehr viel auf die Beine gestellt. Da fällt es schwer sich nur auf eine Sache festzulegen. „Da sind einige Sachen. Natürlich die Ausstellung aus Hamburg und die Zeichnungen von Linda van der Meeren, weil das etwas Neues ist. Das hat mir alles sehr gut gefallen.“
Und die wirklich sehr nette und interessante Wendung, die das Gespräch dann nimmt, hätte ich niemals erwartet: „Und auch die Leichtigkeit der Zusammenarbeit mit den 6 Mädchen aus Deutschland. Zum Anfang waren wir uns nicht sicher, was die Leute sagen würden. Aber wir haben das gut kommuniziert und jetzt auch mit vielen darüber geredet und es gab bisher nur positives Feedback, sehr positiv. Ich habe das nicht erwartet. Wir sind zufrieden. Und Sie auch?“
Und irgendwie schaffen wir es dann vom Thema abzuweichen und über das Verhältnis von Deutschen und Belgiern besonders im Hinblick auf die Geschichte zu reden.
„Bei Führungen durch die Museen sage ich immer ‚Wir sprechen hier nicht von den Deutschen, sondern von den Nazis. Da gibt es einen großen Unterschied.‘ Und so ist das sehr interessant meine ich, für die Leute aus Deutschland, die hierher kommen.“
Es ist wirklich ein interessantes Thema, und so reden wir weiter und Oktaaf erzählt mir von seinen Erinnerungen an die Deutsch-Belgische Beziehungen in der Nachkriegszeit: „Die ersten Jahre nach dem Krieg wollten die Leute hier nicht mehr nach Deutschland. Das war Tabu. Dann haben wir aber gesagt: In Meensel-Kiezegem, die Schuldigen die das getan haben, das waren keine Deutschen, das waren Kollaborateure. Die Leute, die nach Meensel-Kiezegem zurückgekommen sind aus Neuengamme, die haben gesagt ‚Wir haben nun mehr Angst vor den Kollaborateuren als vor den Deutschen.“
Heute ist all dies in weite Ferne gerückt, wenn Belgien und Deutschland gemeinsam erinnern. Auch unser Bestreben etwas Flämisch zu lernen ist hier freudig aufgenommen worden, selbst wenn unser Vokabelschatz sich auf „Bitte“ und „Danke“ beläuft. Vielleicht können wir ihn ja im nächsten Jahr auf einer neuen Gedenkwoche weiter ausbauen…