Mykola Titow recherchiert seit vielen Jahren zur Geschichte seiner beiden Onkel, die im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt wurden und dort starben. 2017 und 2018 hat er auf ihren Spuren Deutschland bereist. Hier berichtet er von seiner Familie, dem letzten Wunsch seiner Mutter nach Informationen über das Schicksal ihrer Brüder und den wertvollen Begegnungen während seines Aufenthalts in Deutschland.
Eine große Familie
Ich bin Mykola Iwanowitsch Titow, Bürger der Ukraine, 1953 geboren in Timoschowka, Gebiet Michailowsk, Bezirk Saporosch. Die tragischen Ereignisse des Zweiten Weltkrieges hatten schwere Folgen für meine Familie. Ich bin nach dem Krieg geboren, doch der Krieg hat mich nie losgelassen.
Meine Mutter und ich lebten bei meinen Großeltern. Meine Eltern waren nie verheiratet gewesen. Leider sind meine Großeltern früh gestorben. Ihr Verlust hat mich mein ganzes Leben geschmerzt.
Vor dem Krieg waren sie eine große Familie, in der sich alle sehr nahestanden. Meine Mutter hatte zwei Brüder: Iwan Iljitsch Titow, Jahrgang 1923, und Nikolai Iljitsch Titow, Jahrgang 1926. Sie lebten alle auf dem Dorf und arbeiteten. Nichts kündigte das Leid an, das ihnen bevorstand.
Meine Onkel starben in Deutschland
Aber 1942 kam der Krieg auch zu ihrem Haus. Den ältesten Sohn Iwan, er war zu dieser Zeit 19 Jahre alt, brachten die Nazis in ein Arbeitslager nach Deutschland. Er war noch ein Junge, der noch nicht gelebt und nichts außer seinem Dorf gesehen hatte. Er musste in einer Fabrik arbeiten.
Er hatte sicher Angst als er im KZ Buchenwald eingesperrt wurde, wo er die Häftlingsnummer 6374 erhielt. Über das KZ Neuengamme kam er schließlich in dessen Außenlager Wittenberge. Er war nur kurz in diesem KZ. Ich vermute, er war zu diesem Zeitpunkt nicht nur physisch, sondern auch moralisch gebrochen. Er ist in Wittenberge auf dem Ehrenfriedhof in der Nähe des Rathauses beerdigt. Die Unterlagen über meinen älteren Onkel habe ich dank des Internationalen Suchdiensts in Bad Arolsen erhalten.
Auch über den jüngeren Onkel erhielt ich über den Internationalen Suchdienst Informationen. Nur Fotos habe ich von beiden nicht. Im Krieg ist alles verbrannt.
Mein Onkel Nikolai wurde von den Nazis zusammen mit seinem älteren Bruder verschleppt, wohl in die Nähe von Pritzwalk. Auch er kam nicht nach Hause zurück. Nach Erzählung seines Freundes starb er während seines Arbeitsdienstes. Beerdigt ist er auf dem Ehrenfriedhof für Soldaten der Roten Armee vor dem Wittstocker Bahnhof.
Es war der letzte Wunsch meiner Mutter, etwas über den Verbleib ihrer Brüder zu erfahren. In der Sowjetzeit war das nicht möglich.
Ich habe noch etwas ergänzendes Material zu meinen Onkeln gesammelt, aber kann es nicht zusammenfügen. Ich habe versucht, es aus dem Deutschen ins Russische zu übersetzen, aber es ist schwierig, weil es bei uns auf dem Dorf keine Übersetzer_innen gibt.
Die Cousine meiner Mutter
Im Haus mit meinen Großeltern lebte auch die Schwester meiner Großmutter mit ihrer Tochter. Auch sie wurde zum Arbeitsdienst nach Deutschland verschleppt. Über sie habe ich genauere Infomationen. Sie wurde durch die Rote Armee am Ende des Krieges befreit. Sie lernte einen Mann kennen und heiratete ihn. Gemeinsam gingen sie in die USA. In Fort Lee lebten sie bis zu ihrem Tod.
Erinnerung bewahren
In den letzten Jahren bin ich ein Briefeschreiber geworden und tausche mich in verschiedenen Foren über die Verbrechen der Nazis aus. Ich habe einen Enkel und eine Enkelin, die im Mai 2019 15 Jahre alt geworden sind. Mein jüngster Enkel ist drei Jahre alt. Ich möchte für sie die Geschichte meiner Familie aufschreiben. Die beiden Älteren besuchen schon seit einiger Zeit zusätzliche Fremdsprachen- und Geschichtskurse.
Oft habe ich das Material, das ich bei meinen Besuchen in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und in der Stadt Wittenberg über meinen Onkel gesammelt habe, mit Dankbarkeit durchgesehen.
Ein großes Dankeschön
Gerne erinnere ich mich an die Gedenkfeierlichkeiten im Mai 2018 in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme anlässlich des 73. Jahrestags des Kriegsendes und der Befreiung der Konzentrationslager. Ich bin begeistert von der Organisation und dem Arbeitseifer der Mitarbeiter_innen der Gedenkstätte und ihrer ehrenamtlichen Helfer_innen.
Ich möchte mich nochmals bei der KZ-Gedenkstätte und dem Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bedanken, insbesondere für die Möglichkeit der Besuche der Gräber meiner Verwandten mit meiner Tochter im August 2017 und im Mai 2018. Meine Familie ist ebenfalls sehr dankbar.
Anm. d. Red.: „Mykola“ ist die ukrainische Form von „Nikolai“.
Übersetzt von Dr. Tina Somann