Tom Devos hat einen guten Freund. Zusammen sind sie in einem Verein aktiv. Mit diesem waren sie sogar schon auf Reisen im Ausland. Nichts Ungewöhnliches, sagen Sie jetzt. Doch als Tom mit fünfzehn Jahren von seinem Freund eingeladen wird, sich für dessen Verein zu engagieren, ist dieser Freund schon weit über 60 Jahre alt. Viel wichtiger als der Altersunterschied ist für Tom das gemeinsame Interesse an der Geschichte der Gemeinde Meensel-Kiezegem. Mit ihrer Arbeit für die Stichting Meensel-Kiezegem ’44, so Tom, setzen sie sich dafür ein, dass die Gewaltverbrechen der Nazis sich nicht wiederholen und dass die Erinnerung an die Opfer der „Vergeltungsmaßnahmen“ der Nazis gegen das Dorf Meensel-Kiezegem gewahrt wird. Toms Großvater, Evrard Cauwbergs, war unter den 71 Männern, die nach den zwei Razzien im August 1944 verhaftet und in das KZ Neuengamme deportiert wurden. Evrard Cauwbergs starb am 7. November 1944 im KZ Neuengamme
Als Toms Großmutter Leona im Jahr 2000 zum ersten Mal den letzten Ruheort ihres Vaters besuchen wollte, fehlte ihr die Kraft, diese Reise alleine anzutreten. Rückblickend glaubt Tom, dass der Anblick seiner Großmutter, die am Denkmal „Die Verzweiflung von Meensel-Kiezegem“ Blumen für ihren Vater niederlegte, ihn zu dem Entschluss brachte, „so viel wie möglich über diese Plätze, was dort passiert war und über die Geschichte meines Großvaters Evrard herauszufinden“.
Toms Urgroßvater und die Verwandten der anderen Mitglieder der Stichting Meensel-Kiezegem ’44 haben vor mehr als 70 Jahren ein großes Opfer für die Freiheit ihrer Nachkommen gebracht. Darin sehen die Mitglieder der Stichting Meensel-Kiezegem ’44 auch eine Verpflichtung, die über das Erinnern hinausgeht:
Wir möchten junge und alte Menschen in Europa zum kritischen, eigenständigen Denken befähigen, damit sie den Weg durch das Labyrinth der modernen Gesellschaft finden.
In der Bildungsarbeit der Stichting geht es vor allem um die Lehren aus der Geschichte und die Geschichten der Nazi-Opfer aus Meensel-Kiezegem, die im Hageland Friedensmuseum ausgestellt sind. Für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene bieten die Mitglieder hier Führungen an. Die Bildungsarbeit macht aber nicht an den Grenzen der Gemeinde Tielt-Winge halt. Vielmehr bringt eine Wanderausstellung die Geschichte von Meensel-Kiezegem in andere Teile Belgiens und auch nach Deutschland. In Hamburg, so Tom, sei die Stichting Meensel-Kiezegem ’44 sogar besser bekannt als in Belgien. Dafür ist Tom insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der KZ Gedenkstätte Neuengamme dankbar.
Wir haben eine mehr als herzliche Beziehung zueinander. Wir arbeiten schon so lange zusammen. Mittlerweile sind wir alle gute Freunde.
Der Charakter der jährlichen Fahrten hat sich seit Toms erstem Besuch mit seiner Großmutter im Alter von 12 Jahren verändert. Ursprünglich waren es Pilgerfahrten, deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen sehr emotionalen Zugang zur Geschichte hatten. Sie hatten ihre Väter ein Leben lang vermissen müssen. Für die nachfolgenden Generationen geht es nicht nur um Emotionen, sondern auch um Erkenntnisse.
Auch wenn es in der Stichting eigentlich keine strikte Aufgabenverteilung gibt, übernimmt Tom vor allem redaktionelle Tätigkeiten. Er ist verant-wortlich für den Blog und sorgt dafür, dass neue Nachschlagewerke und der Newsletter veröffentlicht werden. Von Nutzen das neue Projekt der Stichting werden insbesondere Toms beruflichen Erfahrungen in der digitalen Welt sein. Interessierten soll die Möglichkeit gegeben werden, sich auch online über die Ereignisse in Meensel-Kiezegem während des Zweiten Weltkriegs zu informieren.
Toms großer Wunsch ist jedoch die Errichtung einer größeren Gedenkstätte auf dem Gelände der Kirche von Meensel. Hier möchte er ein inter-aktives Museum errichten, in dem zukünftige Generationen die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und Meensel-Kiezegems in Nachschlage-werken erforschen und durch historische Exponate erfahren können.
Fragt man Tom, woher er die Kraft nimmt, so viel Zeit in sein ehrenamtliches Engagement für die Stichting Meensel-Kiezegem ’44 zu investieren, antwortet er:
Es ist etwas, das ich tun muss. Diese Geschichte ist ein Teil von mir. Es ist meine Aufgabe diese Berichte bekannt zu machen. Ich möchte verstehen, wie es zu diesen Dingen gekommen ist […] Ich sehe die Zukunft der Stichting als eine Organisation, in der die fünfte, sechste und siebte Generation Erfahrungen sammeln. Sie können sehen, wie gut die Welt ist, in der wir leben, aber auch wie zerbrechlich sie ist. Die Freiheit ist nichts, was man für immer besitzt, sondern wofür man weiter kämpfen muss.